Wir stehen zusammen!

Profis // Freitag, 29.05.2015

"Unsere Wege kreuzen sich wieder"

Jean-Francois Boucher kommt in entspannter Sommerkleidung ins Büro. Wir haben uns vor ein paar Tagen zu einem Interview verabredet, am Freitag hat der Stürmer nach seiner Trainingseinheit Zeit. Boucher wird, das steht nun fest, den ERC Ingolstadt nach erfolgreichen und freudigen Jahren verlassen. Er ist aber gut aufgelegt und lässt ins folgende Interview zahlreiche Episoden einfließen. Anhand von zehn Bildern schildert er seine Zeit bei den Panthern (2008/09 und 2012-15). [Fotos: Stefan Bösl, Jürgen Meyer, City Press]


Das Bild ist aus meinem ersten Jahr in Ingolstadt. Es war mein erstes Jahr in Europa. Ich war einer der dummen Nordamerikaner, die dachten, sie kommen hierher und spielen groß auf – und dann kommst du in die Kabine und siehst Jimmy Waite. (lacht) Das Eishockey war deutlich besser als ich dachte. Ich erinnere mich an eine Situation, in der mich unser Trainer Benoit Laporte angeschrien hat, weil ich dem Gegner mit einem Rückhandpass einen 5 auf 0 Gegenstoß ermöglichte. Noch dazu kam, dass es mein erstes Jahr als Profi war. Ich lebte allein in einem… Moment, ich erzähle die ganze Geschichte. Also, Laporte hatte mich ins Trainingscamp eingeladen. Ich habe meine Koffer gepackt, fliege Richtung Europa – dann erhielt meine Mutter zu Hause einen Anruf, dass der Club keinen Platz für mich hätte und der damalige Manager Tobi Abstreiter nichts von der Einladung gewusst hatte. Weil ich aber schon auf dem Weg war, durfte ich das Try-out absolvieren, zur Freude Laportes. Als ich den Saisonvertrag erhielt, gab es anfangs keine Wohnung für mich, nur ein kleines Studentenappartement ohne TV, Internet und so weiter. Ich helfe den Neuankömmlingen aus Nordamerika immer, dass sie schnell ihr Internet bekommen. Ich weiß, wie wichtig das für die Jungs ist.


Wenn ich mich nicht irre, war das ein Tip-in-Tor aus der Saison 2012/13. Es muss im Powerplay gewesen sein – denn wann bin ich sonst schon mal mit Derek Hahn auf dem Eis gestanden? (lacht) Jeff Likens hatte einen schönen Schuss abgefeuert, perfekt für den Tip-in. Ein Tor gibt dir einen Schwung Selbstvertrauen, das war in diesem Fall besonders wertvoll. Es war nicht nur ein Derby gegen Augsburg, sondern auch eine Partie zwei Spieltage vor Ende der Hauptrunde. Ich hatte danach eine gute Playoffrunde gegen Krefeld. Ohnehin punkte ich in den Playoffs pro Spiel häufiger als in der Hauptrunde. Du weißt als Spieler, dass man diese Chancen nicht so oft in der Karriere bekommt. Ich mag die Endrunde, das sind intensive Gefechte und großartige athletische Leistungen. Im Eishockey heben die Playoffs das Spiel noch einmal auf einen anderen Level.


Damals war ich sehr dünn, ich wog unter 80 Kilogramm. Ich hatte 2010 ja bei den Kassel Huskies unterschrieben, die dann in die Insolvenz gingen. Nach diesem Kapitel wollte ich es allen zeigen. Zu der Rückkehr nach Ingolstadt: Viele Fans erinnerten sich noch an mich, das war super. Der Draht zwischen uns war sofort da. Ich werde diese Fans vermissen. Manchmal waren sie böse auf uns – wir hatten das aber verdient. Es sind „blue collar“-Fans: Leute, die hart arbeiten und auch wollen, dass wir hart arbeiten. Wir schulden ihnen das. Sie sind immer dabei, ob wir nun beim Spengler-Cup, in Ostrava oder in Helsinki waren. Deswegen sollte man jeden Tag hart arbeiten.


Das ist fantastisch. Mein Vater sagte mir als kleinem Bub, ich solle mir einen Bereich des Spiels heraussuchen und darauf meinen Fokus legen. Als ich 14 Jahre alt war, merkte ich, dass ich das Checken liebe. Im College habe ich es noch viel mehr gemacht als in Deutschland, aber wenn es geht, mache ich es natürlich. Eine solche Aktion kann dir für den Rest des Spiels ein gutes Gefühl geben. Beim Checken kommt es auf das Timing und die Furchtlosigkeit an. Viele haben Angst, dass sie sich wehtun, weil sie gegen die Bande prallen oder einen Gegen-Check kassieren. Du musst dich einfach hingeben – und darfst nicht meckern, wenn du auch mal einen Check einsteckst. In Schwenningen wurde ich in der abgelaufenen Saison von Rob Brown richtig zerstört. Aber da musst du dann auch mal den Hut ziehen davor.


Oh mein Gott, an das erinnere ich mich noch genau. Wir waren 1:0 in Spiel 4 in Führung. Travis Turnbull hätte mich anspielen können, nahm aber den Schuss. Die Scheibe prallte von der Bande zurück und ich nahm mein Glück in die Hand – und treffe von hinter dem Tor zum 2:0. Das war der running gag: Während Johnny (Laliberte) unfassbare Tore schoss oder unsere Slowenen einfach trafen, war ich von hinter dem Tor erfolgreich – das zweite Mal in Folge. Gegen Düsseldorf heuer habe ich auch wieder auf diese Art getroffen. In diesem Spiel war ich der Cable Guy in der ServusTV-Sendung und habe mich nach dem Tor krumm gelacht. Keine Ahnung, ob sie das gesendet haben. (lacht)


Dieses Bild – oder ein sehr ähnliches – habe ich im Wohnzimmer hängen. Es zeigt, warum es hart ist, mit Eishockey aufzuhören. Da steckt etwas Spezielles drin. Unsere Saison war gebraucht – und von nichts kommen wir und erobern den Pokal. Neben mir ist auf dem Bild Tim Conboy zu sehen, mein bester Freund im Team. Ich half ihm, als er neu nach Europa kam und wir haben am ersten Tag gemerkt, dass wir miteinander können. Wir sind immer noch häufig in Kontakt. Ich wollte ein solches Foto mit ihm. Man hat nicht viel Zeit und sucht sich automatisch die besten Kumpels dafür aus. In der Eile und unter dem Alkoholeinfluss, der folgte, kommst du nicht zu mehr. Wir wollten eigentlich ein Trikot, auf dem alle unterschrieben haben. Mir fehlt aber bis heute die Unterschrift Tyler Boucks.


Wir hatten uns den Traum vom Pokal erfüllt. Jeder in der Kabine war glücklich und alle waren beste Freunde, auch die, die sich ansonsten nicht so grün sind. Wir rauchten, wie es die Tradition erfordert, Meister-Zigarren. Sie waren aber so groß, dass sie keiner fertig rauchen konnte. Ich mag sie ohnehin nicht so. Neben mir ist Michel Périard, ein weiterer sehr guter Freund. Als ich nach Ingolstadt zurückkam, war er der zweite Franko-Kanadier im Team und er spricht ja lieber Französisch. Ich mache gerne Witze, er lacht gerne. Ich würde sagen, er ist meine Eishockey-Freundin – ja, das kannst du ruhig schreiben (lacht). Es muss ja auch einen Grund haben, wieso sie bei seiner Playercard zur Meisterschaft mich vorne drauf gedruckt hatten. (lacht)


Das Foto stammt aus dem Halbfinale, als wir drauf und dran waren, den Finaleinzug perfekt zu machen. Das hat natürlich Spaß gemacht. Es war eine ganz andere Art, ins Finale einzuziehen als im Jahr zuvor. Die Saison war ohnehin schon ganz anders. Wir hatten im Hinterkopf darauf gewartet, dass es zu Auf und Abs kommen wird und die Saison nicht stringent verläuft. Aber es war spaßig, dass wir so durchzogen. Ich war allerdings zweimal verletzt, am Knie und am Kopf und in den Playoffs wieder am Fuß. Das hat mich genervt. Du willst spielen, es geht aber nicht.


Ich bin kein guter Kämpfer, aber ich habe in dieser Liga Angst vor keinem. Ich komme aus der Quebec-Liga, da gibt es dauernd Kämpfe. Man muss wissen, wer der Richtige für einen Kampf ist. Zu dieser Szene: Kurtis Foster stockcheckte mich gegen die Brust und sagte „Let’s go“. Immer wieder. Ich wollte, dass wir Powerplay haben und habe auf die Entscheidung des Schiedsrichters direkt neben uns gewartet. Als nichts kam, habe ich die Linke ausgepackt – er ist wie ein Baum umgefallen. Er beschwerte sich, dass ich auf dem Eis weiter machte, aber wir hatten ja die Handschuhe nicht aus und nichts – und er sollte sich nicht beschweren, wenn er mich x-mal stockcheckt. Das Dumme war: Ich wurde gesperrt, weil es meine zweite große Strafe war. Ich konnte es erst nicht glauben, als ich das Strafmaß dann auf der Bank hörte.


Das war in Spiel 6 des Finales gegen Mannheim, zweites Drittel. Ich schoss, Endras stoppte die Scheibe. Auf heimischen Eis das Finale zu verlieren und den anderen beim Feiern zuzuschauen – das zermartert dir das Gehirn. Im Endeffekt sind wir der erste Verlierer. Du weißt nicht, ob du die Chance noch einmal bekommen wirst. Es gibt dafür keine Garantie, weder Geld, noch ein erster Hauptrundenplatz. Ich wäre gerne mit dem Team zum dritten Mal in Folge ins Finale eingezogen, aber es sollte nicht sein. Ich möchte den Fans danken, dass sie nett zu mir gewesen sind. Ingolstadt ist für mich nicht nur Eishockey, sondern auch eine tolle Stadt. Ich bin hier Meister geworden, habe meine zukünftige Frau kennengelernt und wohne hier. Ich weiß nicht, ob nächstes Jahr, in zwei Jahren oder wann auch immer – irgendwann werden sich unsere Wege wieder kreuzen.

Zurück

MagentaSport Playoffs 2024

Anzeige